Hannover, 21.03.2023

 
In einer separaten Blogreihe „Customer Engagement“ beschreiben wir bereits, was Customer Engagement ist, warum es wichtig ist, und welche Maßnahmen ergriffen werden, um Kunden an das eigene Unternehmen zu binden . Dabei nehmen wir immer wieder auch Bezug auf einen damit zusammenhängenden und weitverbreiteten Begriff – die Customer Journey. Und genau aus diesem Grund werde ich in diesem Beitrag vorstellen, wie eine Customer Journey im Life Sciences Umfeld aussieht, worin die Besonderheiten in diesem regulierten Markt bestehen und worauf man achten sollte bei der Entwicklung einer Customer Journey.

Die Besonderheiten der Life Sciences Industrie

Bevor wir zur Begriffsklärung der Customer Journey kommen, möchte ich auf die Besonderheiten der Kundengewinnung und -bindung des Life Sciences Marktes eingehen. Aus der Sicht eines Life Sciences Unternehmens sind die Endkunden die Patienten, die die Produkte der pharmazeutischen Industrie oder Technologien von Medizintechnik-Unternehmen nutzen, um Krankheiten und deren Symptome zu behandeln oder gar zu heilen. Aufgrund der Tatsache, dass dieser Markt in den meisten Ländern der Welt stark reguliert ist, dürfen Unternehmen der Life Sciences Industrie nicht direkt mit Werbung an Patienten herantreten . Auch können sie dies nicht alternativ bei Vertretern der Fachkreise und entsprechenden Versorgern, also z.B. bei Ärzten oder Apothekern tun . Die vorliegenden Gesetze, Datenschutzregelungen und Codizes lassen ein solches Vorgehen nicht zu. Deshalb müssen Health Care Professionals, kurz HCPs – und auf diese möchte ich mich an dieser Stelle zunächst beschränken – als Kunden auf anderem Wege über die Produkte des Life Sciences Unternehmens, Produktneuerungen oder Technologien informiert werden, damit sie die Patienten mit entsprechenden Verordnungen erreichen. Wir sprechen hierbei also von einem B2B2C Markt, da die HCPs die Produkte der Life Sciences Unternehmen nicht selbst in Anspruch nehmen. Die Patienten erhalten diese in der Regel über entsprechend ausgestellte Rezepte. Ein direkter Kontakt zwischen Hersteller und Konsument kommt bei diesem Ansatz nicht oder nur stark eingeschränkt zustande.

Was ist eine Customer Journey?

Wie wird also nun ein HCP zum Kunden eines Life Sciences Unternehmens? Der Weg, den ein HCP gemeinsam mit einem Life Sciences Unternehmen beschreitet, wird in der Regel als Reise, als Customer Journey bezeichnet. Auf dieser Reise kann der HCP fünf verschiedene Phasen durchlaufen oder erleben, die idealtypisch alle erreicht werden, bevor der Kunde sich zum einen langfristig an die Marke des Unternehmens gebunden fühlt, also loyal wird und zum anderen sogar als Meinungsbildner auftritt, der als Botschafter für die eigene Marke gilt. Doch wie genau verläuft diese Reise? Schauen wir uns dazu die fünf Phasen an:

Phase 1: Awareness – der Kunde lernt das Unternehmen kennen

Die Möglichkeiten wie ein HCP Kenntnis über ein Life Sciences Unternehmen und seine Produkte erlangt sind vielfältig. Er kann bei einer Internetrecherche auf ein Produkt des Unternehmens und damit auf das Unternehmen selbst gestoßen sein. Es wurde ihm von einem anderen HCP, der das Produkt bereits einsetzt, also bei Patienten verordnet, empfohlen. Er kann auch durch die Auswertung von Studienergebnissen auf das Produkt aufmerksam geworden sein oder er wurde durch einen Außendienstmitarbeiter des Unternehmens aufgesucht, der es ihm vorgestellt hat – um nur einige Möglichkeiten aufzuzählen. Diese Möglichkeiten des Zusammentreffens werden im Zusammenhang mit der Customer Journey als Touchpoints bezeichnet, also als Berührungspunkte zwischen dem HCP und dem Life Sciences Unternehmen. In jedem Fall hat der HCP einen ersten Eindruck gewonnen und konnte sich ein Bild über das Produkt und den Hersteller machen.

Phase 2: Consideration – der Kunde bewertet das Produkt

Nachdem der HCP erstes Wissen über das Produkt und das Life Sciences Unternehmen gesammelt hat, wird er unweigerlich auch darüber nachdenken, ob er es bei Patienten, für die das Medikament oder die Technologie in Frage kommt, einsetzen wird. Eventuell fühlt er sich noch unsicher, was den Einsatz angeht und baut zusätzliches Wissen auf, um entscheiden zu können, ob und bei welchen Patienten eine Verordnung sinnvoll ist. Hierbei kann er sich derselben Kanäle bedienen, über die er das Produkt und Life Sciences Unternehmen bereits kennengelernt hat und so weitere Touchpoints mit dem Life Sciences Unternehmen generieren. Oder er nutzt andere Wege, um die offenen Fragen zu beantworten, wie z.B. ein Austausch mit dem Unternehmen via E-Mail oder die Teilnahme an einer Fortbildungsveranstaltung. Die Bewertung des Produkts kann sich über einen längeren Zeitraum erstrecken und auch darin enden, dass der HCP zu dem Schluss kommt, das Produkt zumindest vorerst noch nicht einzusetzen. Ist dies nicht der Fall, so kommt es unweigerlich zur nächsten Phase – der Kunde entscheidet sich für das Produkt und verordnet es einem ersten Patienten.

Phase 3: Purchase – der Kunde setzt das Produkt ein

Bei einer klassischen Customer Journey kauft der Kunde in dieser Phase zum ersten oder wiederholten Mal das Produkt. Bei Life Sciences Unternehmen ist dies hingegen der Moment, wo der HCP beginnt das Produkt zu verordnen. Er selbst kauft es zwar nicht, ist aber derjenige der entscheidet, dass es in vielen Ländern der Welt durch die Krankenkasse des Patienten bezahlt wird . Der Schritt zur ersten Verordnung ist immens wichtig. Was Außenstehenden als trivial erscheint – immerhin geht es ja nur darum, dass der Arzt den Namen eines Medikaments auf ein Rezept schreibt, das er nicht mal selbst bezahlen muss – ist in der Regel die Folge vieler Touchpoints zwischen dem HCP und dem Life Sciences Unternehmen. Dabei werden alle wichtigen Fragen das Produkt betreffend geklärt. Hierbei geht es um Fragen zu:

  • Möglichen Szenarien für den Einsatz des Produkts,
  • Wirksamkeit und Effizienz,
  • Verträglichkeit und Nebenwirkungen,
  • Kombinierbarkeit mit anderen Medikamenten,
  • Wechselwirkungen mit anderen Medikamenten,
  • Wirtschaftlichkeit sowie zur
  • Therapiedauer und Dosierung,

um nur die wichtigsten Themengebiete aufzuzählen. Aber auch wenn alle Fragen über verschiedene Kanäle beantwortet sind, kann es noch dauern, bis der HCP das Produkt tatsächlich verordnet. Vor allem bei langwierigen oder gar chronischen Erkrankungen wird ein Arzt das Medikament, auf das ein Patient eingestellt ist und das er gut verträgt, nicht leichtfertig absetzen, nur weil ein anderes vermeintlich besseres Produkt auf dem Markt erschienen ist.

Betrachtet man stattdessen Health Care Organizations, also HCOs, wie Apotheken, den Großhandel oder eine Klinik dann findet tatsächlich ein Kauf statt, weil sich Apotheken und Großhändler z.B. auf Grund erster Nachfragen in den Apotheken auf die geänderte Situation einstellen oder weil eine Klinik beschlossen hat, ein Medikament zukünftig bei der Behandlung der Krankheit einzusetzen, es also zu listen und sich entsprechend bevorratet.

Phase 4: Retention und Loyalty – der Kunde bleibt dabei

Das Life Sciences Unternehmen strebt an, dass das Produkt, das ein HCP bereits mehrfach wegen guter Ergebnisse bei den Patienten verordnet hat, von diesem bevorzugt wird. Aus Sicht des Unternehmens soll der Kunde bei der Entscheidung welches Produkt auf das Rezept geschrieben wird immer nur an das eigene Produkt denken – es soll zum Mittel der Wahl werden . Dies kann z.B. durch regelmäßige Interaktionen mit dem HCP, einen ausführlichen E-Mail-Schriftverkehr oder durch entsprechend aussagekräftige Informationen auf den Websites des Life Sciences Unternehmens gelingen. Behält der Kunde das Verhalten bei, so wird er ein loyaler Verordner. Aber auch wenn der HCP das Medikament nur bei einigen Patienten, dort aber regelmäßig verschreibt, wird er als treuer Kunde betrachtet. Dies kann der Fall sein, wenn das Produkt bei verschiedenen Krankheits- und Patientenbildern, die auch als Kasuistiken innerhalb derselben Indikation bezeichnet werden, zum Einsatz kommen kann. Deckt nach Ansicht des HCP das Medikament nicht alle Krankheitsbilder ab, so verschreibt er dieses nur dort, wo es ihm angemessen erscheint, dafür aber stetig. Der Kunde hat deswegen auch in diesem Fall die vierte Phase der Customer Journey erreicht und gilt als loyal.

Phase 5: Advocacy – der Kunde macht sich stark für mich

Ist ein HCP vom Produkt des Life Sciences Unternehmens überzeugt, so kann es dazu kommen, dass er dies auch gegenüber anderen Kunden zum Ausdruck bringt, diesen von seinen guten Erfahrungen berichtet, deren Fragen beantwortet und sogar dahingehend beeinflusst, dass diese selbst beginnen, das Medikament auf Grund seiner Befürwortung zu verordnen. Er hat die Phase fünf erreicht und tritt als Meinungsbildner oder Opinion Leader auf. Je nach Reichweite des Netzwerkes, in dem er sich bewegt, spricht man auch vom Key Opinion Leader, kurz KOL. Diese Meinungsbildner, die ja dem Grunde nach Produkt- oder gar Markenbotschafter sind, sind sehr wertvoll für ein Life Sciences Unternehmen, da sie das Unternehmen bei der Begleitung weiterer HCP auf deren Customer Journey in großem Maße unterstützen können. Damit andere HCPs davon erfahren, dass dieser Kunde ein Meinungsbildner ist, werden diese nicht selten zu Referenten, Moderatoren oder Chairmen ausgebildet, die dann auf medizinischen Fortbildungsveranstaltungen, die Life Sciences Unternehmen regelmäßig organisieren und durchführen, referieren, moderieren oder diesen vorsitzen. Diese Veranstaltungen sind für viele Kunden wichtige Touchpoints auf ihrer individuellen Reise mit dem Unternehmen. Der als Vertragspartner des Life Sciences Unternehmens auftretende HCP vergrößert auf diese Weise sein persönliches Netzwerk. Auf Seiten des Unternehmens steigt die Wahrnehmung innerhalb der Ärzteschaft und weiterer Angehöriger der medizinischen Fachkreise.

Auch ist ein Vortrag des HCP bei zum Teil überregionalen Kongressen oder das Auftreten bei Symposien, die seitens des Life Sciences Unternehmens zwar unterstützt aber nicht organisiert werden, ein mögliches Szenario, die Reichweite und Wahrnehmung sowohl des HCP als auch des Unternehmens zu steigern.

Daneben kommt die Mitwirkung bei klinischen Studien zu neuen Produkten oder auch Studien bzgl. Zulassungserweiterungen bei bereits zugelassenen Produkten als weiterer Touchpoint auf der Customer Journey in Frage. Für den HCP bietet sich durch entsprechende Publikationen erneut die Gelegenheit, die Reichweite im persönlichen Netzwerk zu erhöhen. Für das Life Sciences Unternehmen bietet eine solche Zusammenarbeit neben dem offensichtlichen Beitrag zur Studie erneut die Gelegenheit, anderen HCPs von der Kollaboration zu berichten und so den Mehrwert des Produkts oder der eigenen Marke zu steigern.

Ausblick

Wie wir gesehen haben, besteht eine Customer Journey aus bis zu fünf Phasen. Die Customer Journey wird dabei in der Theorie in vereinfachter Form als linearer Prozesse angesehen, der die Erreichung der Stufe 5 zum Ziel hat.
Das Ziel des Life Sciences Unternehmens muss jedoch nicht immer gleich das Erreichen mindestens der Phase 3 sein, also das Verordnen eines Medikaments. Die gesteckten Ziele können auch deutlich kleinteiliger sein, wie z.B. die Anmeldung eines HCP zu einem Newsletter oder sich auf verschiedene Produkte beziehen, sodass im Ergebnis für ein und denselben Kunden viele Customer Journeys zu unterschiedlichen Zielen oder Produkten bestehen können.
In meinem nächsten Beitrag möchte ich daher für eine beispielhafte Persona mögliche Customer Journey Maps skizzieren, die aufzeigen, wie die Abläufe und Touchpoints innerhalb einer einzelnen Phase der Customer Journey aussehen können.

 

Über mich
Hallo, ich bin Marcos Garcia Villas und habe als Customer Engagement-Experte über die vergangenen 16 Jahre vielfältige Erfahrungen im Bereich Customer-Relationship-Management in der Life Sciences Branche gesammelt. Ich berate unsere Kunden mit tiefem Prozess-Knowhow zu Customer Engagement und Next-Best-Action für die jeweiligen Zielgruppen. Ich freue mich darauf, Ihnen in einem persönlichen Gespräch einen Einblick zu geben, wie Sie zukünftig Engagement-Erfolge erzielen können.

 

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